Erfolgs-Evolution für den WM-Winter

Der Doppel-Olympiasieger gewährt im Interview Einblick, mit welchen Zielen er in den WM-Winter geht und wie seine persönliche Roadmap für die kommenden Wochen aussieht.
Evolving ahead of the World Championships Evolving ahead of the World Championships

Dritter im Gesamtweltcup, Vizeweltmeister, zwei Saisonsiege und viele Erfolgsmomente: Skispringer Andreas Wellinger erlebte in der Saison 2023/24 seine bisher beste Weltcupsaison. 

Hallo Andi, seit dem Saisonende im März sind schon ein paar Monate vergangen. Blicken wir noch einmal zurück – wie fühlt sich die Saison im Rückspiegel an?

Andreas Wellinger (lacht) Total beschissen! Nein, Spaß bei Seite ... es war eine sehr geile Saison. Mein Ziel war es, abseits von Platzierungen vom ersten bis zum letzten Wettkampf auf einem sehr hohen Niveau zu springen. Das habe ich fast perfekt umgesetzt. Nur im Saisonfinale hat es nicht zu 100 Prozent geklappt – dafür waren der Dezember und Jänner sensationell. Silber und Bronze bei der Skiflug-WM und der Heimsieg bei der Vierschanzenturnee in Oberstdorf waren besondere Highlights für mich.

Dass mir einmal 25.000 Leute die Hymne singen, das war schon ganz etwas Besonders.

Auch das Ganze drum herum habe ich bei der Vierschanzentournee so noch nie erlebt. Es hat schon sehr viel sehr gut funktioniert, aber ich spüre natürlich noch Potenzial für mehr. Um dieses auszuschöpfen, daran arbeiten wir jeden Tag!

Wie wichtig ist es nach einer langen und kräftezehrenden Saison, den Kopf freizubekommen?

Andreas Wellinger: Das hat tatsächlich dieses Jahr länger gedauert als normalerweise, nach dem Saisonfinale in Planica musste ich für ein paar Wochen abschalten. Mal nicht an Skispringen denken, dem Geist und Körper Freiraum geben. Ich war mit meiner Freundin in Sri Lanka auf Urlaub: Natur, Strand, Sonne, Kultur, gutes Essen, surfen gehen ... ein Kontrastprogramm zum langen Weltcupwinter.  

Du steckst schon mitten im Training für die Saison 2024/25. Wie legst du die Vorbereitung an, Business as usual oder gehst du neue Wege?

Andreas Wellinger: Es ist ganz klar eine Evolution und keine Revolution im Training. Ganz klassische Sprungfehler mache ich nicht mehr, ich konzentriere mich auf die Sachen, die ich richtig gemacht habe. Ich habe in den vergangenen Jahren extrem viel gelernt: Wie muss ich mit meinem Körper umgehen, mit meiner Technik und dem Material – alles, was es für die paar Sekunden auf der Schanze braucht. Außerdem passt das Umfeld perfekt, privat und auch im Bereich Trainer und Team.
 

Es geht bei den besten Skispringern der Welt um Nuancen – woran feilst du, um noch besser zu werden?

Andreas Wellinger: Natürlich gibt es immer kleine Rädchen, an denen ich schrauben will, um mich weiterzuentwickeln. Ich will in meinem Sprung eine noch bessere Symmetrie erreichen. Denn wenn man asymmetrisch ist, dann hat man irgendwo einen Strömungsabriss oder nicht so viel Dynamik im Sprung. Deswegen gilt: Je symmetrischer Ski, Körper und Arme sind, desto effektiver kann man Energie dann entsprechend in höhere Geschwindigkeiten weiter umsetzen. Und genau darauf fokussiere ich mich aktuell.

Apropos Nuancen: Arbeitest du mit dem VAN DEER Red Bull Sports Team auch an Setup-Updates für die neue Saison?

Andreas Wellinger: Darüber kann und will ich nichts ausplaudern. Aber das Setup ist im Skisprungsport enorm wichtig und feinfühlig. Wir haben bereits im Vorjahr sehr gut zusammengearbeitet und es macht extrem viel Spaß, mit eurem Sprungski-Bau-Experten Pierre an Details zu arbeiten und Ideen auszutesten und zu schauen, was passiert am Ende auf der Schanze. Weil man kann so viel wie man möchte in der Theorie diskutieren oder philosophieren, der Test auf der Schanze ist dann der Moment der Wahrheit: Funktioniert´s oder funktioniert´s eben nicht. Aber rückblickend auf die noch nicht einmal zwei Jahren haben wir bereits sehr viel miteinander erreicht. 

Das Saisonhighlight wird neben der Vierschanzentournee die nordische Ski-WM in Trondheim von 27. Februar bis 8. März 2025 sein. Ändert sich durch die WM etwas in der Vorbereitung auf die Saison? 

Andreas Wellinger: Nein, eigentlich nicht. Natürlich hat man im Hinterkopf, dass eine WM ansteht. Sagen wir mal so: Die Anspannung ist eine höhere, die Vorbereitung ist aber genau die gleiche. Denn das ist der Unterschied vom Skispringen zu anderen Sportarten wie dem Langlaufen usw. Im Ausdauerbereich kann man sich viel genauer auf einen Tag X vorbereiten und darauf hintrainieren. Als Skispringer kann man sich trainingstechnisch viel erarbeiten und wir haben gewisse Trainingsphasen, um theoretisch einen gewissen Leistungs-Peak zu haben. Nur funktioniert Skispringen eben anders, es ist diffiziler und fragiler. Das, was auf der Schanze passiert, ist dann am effektivsten, wenn das Grundniveau am höchsten ist. Deswegen versuche ich mein Setup so aufzustellen und meinen Körper so vorzubereiten, dass ich über die gesamte Saison auf Topniveau performen kann. Wenn mir das gelingt, dann ist es auch möglich an Tag X meine Topleistung abrufen zu können.

In etwas mehr als drei Monaten startest du in die Weltcupsaison 2024/25: Wie schaut deine Roadmap bis zum Saisonstart am 23. November 2024 in Lillehammer aus?

Andreas Wellinger: Es gibt ein gewisses ‚Grundkonstrukt‘ unseres Plans, wann und wo wir mit der DSV-Mannschaft unterwegs sind, etwa alle zwei bis drei Wochen. Im Herbst wird für die finale Vorbereitung auf den Weltcupwinter intensiver. Der Plan beinhaltet wo und auf welcher Schanze wir trainieren und mit welcher Gruppe. Mein Plan ist aktuell, dass ich die ersten Sommerwettkämpfe auslassen und nur bei den letzten Bewerben mitspringe. Ich möchte einfach die Zeit fürs Training nutzen und dann ist zwischen 3. Oktober, dem Termin des letzten Sommerwettkampfs, und dem 20. November noch einmal die heiße Phase in der Vorbereitung. Diese Zeit vergeht dann immer extrem schnell und dann kann es schon losgehen!

Losgehen ist ein gutes Stichwort: Jetzt geht es auch für Marcel Hirscher wieder los. Als “Austrian skiing for the Netherlands” und Racing Test Pilot für VAN DEER Red Bull Sports. Was erwartest du von Marcel Hirschers Rückkehr?

Andreas Wellinger: Das ganze Projekt ist super-spannend. So wie ich Marcel Hirscher kennengelernt habe und wahrnehme, ist er einfach ein ‚Freak‘ im positivsten Sinne, wenn man des so sagen darf. Denn es kommt ja auch nicht von ungefähr, dass er acht Gesamtweltcups in Folge gewonnen hat. Das fliegt keinem Athleten auf der Welt zu, das steckt extrem viel harte Arbeit, Disziplin, Leidenschaft und eine unendliche Liebe zum Skifahren dahinter. Darum bin ich gespannt, wie es Marcel Hirscher geht, wenn er sich über den Sommer mit den FIS-Rennen in Südamerika auf den Winter vorbereitet. Es ist bei den 'Alpinen' einfach ein anderes System mit den FIS-Punkte und den Startnummern als bei uns im Skispringen. Mir ist eigentlich ziemlich egal, ob ich die Startnummer 1 oder 50 springe, es geht vor allem um gute oder schlechte Bedingungen, egal wann ich an der Reihe bin.
 

Andi, wir wünschen dir viel Energie für die kommenden Wochen der Saisonvorbereitung. Auf erfolgreiche Material-Tüfteleien und gute Testsprünge, damit du deine gesteckten Ziele für die kommende Saison erreichen kannst.