MARCEL HIRSCHER: „ICH FREUE MICH AUF SÖLDEN UND BIN WIRKLICH AUFGEREGT!“

Marcel Hirscher hat seine Entscheidung getroffen: 2.051 Tage nach seinem letzten Rennen im März 2019 wird er beim Weltcupauftakt in Sölden am kommenden Sonntag wieder auf die Rennstrecke zurückkehren. Mit großer Vorfreude. Mit viel Dankbarkeit. Frei vom einstigen Erwartungsdruck und „trotzdem wirklich aufgeregt“.

© Christoph Oberschneider © Christoph Oberschneider

 

Es ist so viel geredet, geschrieben, gerechnet worden: Ich fahre da jetzt einfach mal runter und dann wissen wir alle mehr.

Mit diesem Gedanken, schildert Marcel Hirscher, habe er letztlich die Entscheidung getroffen, nun doch schon beim Weltcupauftakt in Sölden an den Start zu gehen. Eine Möglichkeit, die sich für ihn überhaupt erst im Sommer durch die Wildcard-Entscheidung der FIS eröffnet habe: „Für mich war klar, dass ich FIS-Rennen fahren werde. Dann hat sich die großartige Option aufgetan und seither haben wir alles versucht, um es möglich zu machen."

 

„DA KRACHEN ZWEI VERSIONEN MEINER SELBST ANEINANDER...“

Leicht sei sie ihm nicht gefallen, diese Entscheidung, gesteht Marcel Hirscher – wie jene damals beim Rücktritt 2019 und jene heuer im März, als sein Projekt „Austrian Skiing for the Netherlands“ weltweit für Ski-Schlagzeilen sorgte, ihm nicht leicht gefallen waren. „Es krachen in mir zwei Versionen meiner selbst aneinander: Die eine liebt dieses Herzensprojekt, mit meiner Bekleidung und meinem Ski-Material noch einmal der Skirennläufer sein zu dürfen, der ich immer so gern sein wollte. Rennfahren aus purer Freude; Erlebnisse statt Ergebnisse sammeln. Und den Rennfahrer und Fighter, der ich früher mal war, den gibt es halt auch noch. Ich brauche nur ans Piepsignal im Starthaus zu denken und der Puls rast rauf und ich spür das Adrenalin. Es ist also beides: Ich freu mich extrem und ich bin auch wirklich aufgeregt. Deshalb habe ich die Entscheidung, wie ich immer gesagt habe, auch erst so kurzfristig getroffen.“

Er spüre diese Ambivalenz, aber den Performancedruck von früher, wo ein zweiter Platz oft schon zu wenig gewesen sei, den spüre er nicht mehr. „Es ist ja logisch, dass ich nicht auf dem Level bin und gar nicht sein kann, auf dem ich war. Auch noch nicht auf dem, auf das ich vielleicht noch kommen könnte. Ich kann mich schon richtig einschätzen: 2.051 Tage, fünf Winter, sind eine extrem lange Zeit im Skirennsport: Die Jungs stehen teilweise mit Sachen am Start,  die kenn ich nicht einmal mehr. Mit meiner körperlichen Fitness bin ich happy, da fühle ich mich jünger als damals, als ich aufgehört habe. Dass ich noch nicht so viel Schneetraining habe, wie ich bräuchte, ja mei: Das liegt halt daran, dass ich jetzt ein ganz anderes Leben führe, in dem ich mehr Verantwortung habe.“ Ähnliches gelte auch beim Thema Material-Setup: „Es ist ein Unterschied, ob ich für unsere Firma VAN DEER-Red Bull Sports auf der großen Linie an der Materialentwicklung mitarbeite – oder ob ich für meinen Körper, meine Biomechanik, meinen Fahrstil, meine Füße mein Renn-Setup finden will. Nach neun Tagen Skifahren in Neuseeland und nochmal acht in den zwei Monaten seither sind wir da so weit, wie wir nur sein können, weil sich alle enorm reingehängt haben.“   

„MIR GEHT´S WIE ALLEN: KEINE AHNUNG, WO ICH JETZT STEHE“

Zur Entscheidung schon in Sölden wieder an den Start zu gehen, habe er sich deshalb auch etwas durchringen müssen, gibt Marcel Hirscher zu. Denn die Ratschläge von Experten, er solle erst in Val d´Isere wieder einsteigen und bis dorthin Defizite im Trainingsumfang kompensieren, seien inhaltlich richtig. „Ich habe mich trotzdem anders entschieden – dafür, die Chance zu nützen und die Erfahrung mitzunehmen. Früher gab´s bei mir vor Sölden immer den Moment, wo ich wusste: „Ok, passt.“ Dieses Referenzgefühl habe ich nicht mehr. So gesehen geht´s mir genau gleich, wie allen, die die Situation kommentieren und analysieren: Ich habe keine Ahnung, wo ich wirklich stehe – die einzige Möglichkeit, das rauszufinden, ist für mich, Sonntag dieses Rennen zu fahren.“

Erwartungshaltungen? Zielsetzungen? Marcel Hirscher: „Nein, habe ich keine. Es bringt mich nicht weiter, wenn ich selbst spekuliere. Sölden wird eine erste Einordnung ermöglichen und da rechne ich, je nach Bedingungen, auf der Skala zwischen „eh recht passabel“ bis „ui, richtig weit weg“ eigentlich mit allem.“ Nachsatz: „Es gibt in mir den Wunsch, mehr der Marcel und weniger der Hirscher, dieses Rennpferd von früher zu sein. Der Marcel ist jetzt 35 Jahre alt, freut sich, dass er die Chance hat bei einem Weltcuprennen mitzufahren – und ist deshalb auch ziemlich aufgeregt.“

© Christoph Oberschneider